Kreisseniorenrat (22.07.2023)


Dieser Text wurde als ein Gewinner öffentlich im Kreistag am 21.07.2023 gewürdigt:


Kuriose Anfragen bleiben oft lange in Erinnerung 
  
"Sind Sie der Müll?"  "Nein, aber der Müllionär!" 
 
Im April 1991 kam ich aus beruflichen Gründen in den Landkreis. Aufgrund zahlreicher Kontakte zu Kundinnen und Kunden, anfangs auch vor Ort in Gewerbebetrieben, später in Werksführungen über Jahre beim Restmüllheizkraftwerk und danach am Telefon könnte sogar in der Rente bald ein Buch erscheinen, was nicht als Drohung missverstanden werden sollte. 
 
Der Zahnarzt meines Vertrauens aus dem letzten Jahrtausend rief vor etwa zehn Jahren an, und ich erkannte ihn sofort am Namen, seiner Festnetztelefonvorwahl und an seiner Mülleimernummer. "Das ist wohl nicht die Witwe Paola Felix oder der Exjournalist Manne Harr", dachte ich, denn es handelte sich um eine komische und eher unglaubwürdige Geschichte. Er war von der Zentrale zu uns verbunden worden mit dem Versprechen, es säße dort einer, der alles weiß vom Müll. 
 
Jedenfalls hatte er alle seine gebrauchten güldenen Kronen und Inlays aus seiner Arztpraxis in einem speziellen Sack über Jahre gesammelt und im Keller aufbewahrt, leider nicht im Potschamber, sondern auf dem "Oimerle" für Restmüll. Die erst kürzlich verpflichtete Reinigungskraft kam und warf damals ungeprüft oder unwissend den Sack komplett in den Abfallbehälter und stellte ihn gemäß Abfallkalender korrekt am Straßenrand am Vortage für die Leerung bereit. Ein mutmaßlicher Dieb wurde auch nicht gesehen. 
  
"Wo ist mein ganzes Gold geblieben?" Ich erklärte den genauen Weg aus dem Müllauto zu uns und bot eine Führung durch die Anlage für alle interessierten Ärzte der Region an. Ob mein Nachfolger diesen aufmerksamen Kreis betreuen durfte, habe ich nicht mitbekommen. Jedenfalls wollte der Zahnarzt bei uns selbst nachschauen und suchen gehen. 
 
"Bei einer Temperatur von etwa ein tausend Grad wandert Edelmetall weit durch den Ofen mit und fällt in die Schlacke herunter. Die Suche dort wäre wie nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen." Zum Trost, da der vermutete materielle Schaden groß war, bot ich sogar eine Schifffahrt sonntags auf dem Neckar bis Bad Friedrichhall/Kochendorf an mit seiner Ärzteschaft. So käme man auf andere Gedanken und könnte sehen, dass seine langjährige Arbeit im ehemaligen Salzbergwerk fast ewig ruhen würde. 
 
Seine Versicherungen zahlten nicht, weil es keine rechtssichere Beweisführung gab, außer seiner recht glaubwürdigen Schilderung. Und die Moral von der Geschichte: Auch wenn der materielle Schaden groß war, kann die Erinnerung an gute Zeiten sehr lange bestehen bleiben, was oft genug viel wertvoller und tröstender ist als Materialien dorthin zurückzugeben, woher sie ursprünglich genommen worden waren. 

Detlef Reppenhagen im März 2023


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